Dienstag, 8. Dezember 2009

Ich habe heute merkwürdige Kekse gegessen und fürchte um mein Leben

Es gab drei Sorten, verhüllt von einer goldenen Weihnachtsserviette. Schon die ganze Stunde schlug sie sich mit dem Gebäck den Magen voll, es musste wohl was dran sein. Andererseits hatte sie es selbst gebacken. Ich hatte heute eigentlich das Pech neben Rosa zu sitzen, denn sie war genauso, wie sie hieß. Würde ihre Mutter ihre Haarpracht nicht jeden Morgen in einem monströsen Zopf von der Stärke eines Sportlerbeins bändigen, bliebe einem ein Teil ihrer reizenden Anwesentheit erspart, da sie bis zu den speckigen, stetig entblößten Hüften in einem Wald aus pechschwarzen Drahtspähnen verschwinden würde. Doch die Frau Maman hatte sich die Mühe gemacht und so schaute neben gelangweilten Russenfratzen ein, seitlich gesehen, absolut ebenes Mondgesicht in die Runde, die selbstverliebten Schlitzaugen von den arrogant erhobenen schwarzen Brauen leicht auseinander gezogen, den Mund niemals geschlossen, da sie vielleicht schon im nächsten Moment lossprudeln müsste. Und zu niemandem hätte das Verb des Lossprudelns je besser gepasst, als zu meiner heutigen Nachbarin. Man erschrak und wollte schon zu Hilfe eilen, hörte man sie sprudeln. Den armen Buchstaben "r", der in den osteuropäischen Sprachen doch so schön gerollt wird, hatte sie einfach niemals liebgewonnen und ganz aus ihrer Sprachfontäne verbannt, und da die Informationen, mit denen uns ihre Hoheit beglückte, stets von solcher Wichtigkeit und solchem Ausmaß waren, dass es viel zu viel kostbare Zeit in Anspruch nähme, sie uns in gemäßigter Lautstärke und Geschwindigkeit zu überbringen, musste sie so schnell sprudeln, dass ihre zarte, liebliche Stimme sich mehrmals in einem Satz überschlug - man konnte wahrlich die Wörter Purzelbäume schlagen sehen, eins nach dem anderen - und dabei auch noch gleichzeitig nach Luft schnappen, ohne ihren Gebirgsbach, ihren Springbrunnen, ihren Fluss, ihren Pazifischen Strom an Klängen und Lauten, gleich dem herrlichen Geräusch von weißer, staubiger Kreide auf einer alten, dunkelgrünen, von Kalkresten bedeckten Schultafel, auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu unterbrechen.
Und so saß sie wahrhaftig neben mir, gehüllt in Grundschulkindermode, das kleine pinke Gerät, mit dem man alles konnte, in der Hand, da ihre Eltern das Geld hatten, in sich selbst hineinlächelnd, ganz genau wissend für immer und ewig die einzige zu sein, die sie selbst so sehr lieben würde, wie es sonst niemals jemand anders zu gedenken versuchen würde. Und ihre Kekse essend. Einen nach dem anderen. Noch einen Zimtstern. Oh, hier ist ja etwas mit Puderzucker. Na, davon noch ein wenig. Es waren diese seltenen Momente, die jeder von uns bis zur letzten Sekunde auskostete. Nicht weil Rosa diese hocherotische Aura mitsich trug, die alle von uns fesselte, sobald sie ihre spitzen Lippen dazu öffnete, genüsslich ein Gebäck zu verspeisen, sondern weil es die Augenblicke der Ruhe, Balance und innerer Mitte waren, in denen unser Trommelfell sich entspannte, unsere schmerzverzerrten Gesichtszüge sich lösten und die Friedenstaube über diese Stätte des Nirwanas zog.
Je mehr und mehr ich es genoss, mich an Rosas Verspeisen ihrer Nascherei visuell zu sättigen, desto vernachlässigter fühlte sich mein Magen, weinte, stampfte mit dem Fuß und heulte "Warum dürfen die Augen und ich nicht?" Nun, warum eigentlich nicht. Geben wir dem Ego dieses Mädchens doch einen kleinen Schubs in die Richtung der absoluten Verwandlung in eine Blume, sagte ich mir, zwar nicht der, deren Namen sie trug, doch der Narzisse, der nicht einmal halb so schönen Osterglocke, in die sie sich in jedem Fall eines Tages verwandeln würde, möge man dem Mythos des Narziss Glauben schenken.
"Sind die selbstgebacken?" Nur der Fakt, dass man ihr oder etwas ihr Zugehörigem Beachtung schenkte, hatte zwar zur Folge, sich in der nächsten Zeit von ihren Reden beschallen lassen zu müssen, aber auch, dass ich das kriegte, was ich wollte - Kekse!
Mutig entschied ich mich für einen Zimtstern, klein und fein, zimtig, mit Zucker oben drauf.
Ich versuchte mir auszumalen, wie diese Göttin der Konfesserie diese Weihnachtssüßigkeit zubereitet hatte. Ein Rezept wie folgt, hätte mich nicht gewundert: 500g Mehl, 7 Eier und 200g Zimt klumpig verrühren und bei 250°C Umluftherd 3 Stunden lang backen. Vergiss nicht das Kakaopulver später draufzukippen!
Es lässt sich etwa soviel zu den Folgen sagen: Ich höre so schnell nicht mehr auf mein Bauchgefühl. Meine Zunge ist sauer auf meinen Magen, meine Zähne auch. Mein Magen ist sauer auf mich. Ich wiederum kann nicht wirklich sauer auf Rosa sein, denn nach diesem Vorfall habe ich wirklich Respekt vor ihrem Stoffwechsel. Aber Blumen können nicht backen.

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